Wir haben einen unruhige Nacht hinter uns. Der Sohn der Freundin hat sich mehrmals erbrochen und leidet an Durchfall. Vor uns liegt eine Strecke von 19 km, die der Wanderführer als mittelschwer, mit langen schattenlosen Passagen beschreibt, wo es kaum Möglichkeiten zum Wasserfassen gibt. Unter diesen Umständen beschließen wir, ab Puente la Reina de Jaca (ca 3 km vom Zeltplatz entfernt) den Bus zu nehmen und uns am Abzweig nach Artieda, unserem Tagesziel, absetzen zu lassen. Doch dort müssen wir erfahren, dass, zumindest in diesem Teil Spaniens, am Wochenende keine Busse fahren.
So stehen wir mittags immer noch an der N240 und versuchen per Anhalter wegzukommen. Schließlich nimmt ein LKW Kleininch und mich mit Richtung Pamplona.
Am Abzweig nach Artieda hopsen wir auf den glühend heißen Asphalt, um die letzten drei Kilometer zu Fuß zu bewältigen. Wir haben es fast geschafft, als unsere Reisegefährten laut hupend neben uns halten. Meine Freundin schreit mir zu: “ 500 m bis Artieda: Wollen wir dahin? Dann steigen wir aus und laufen mit Euch. Oder wollen wir nach Ruesta? Dann steigt ein!“
Wir steigen ein.
Die Bergfeste liegt 10 km entfernt an einem Stausee; schon bei der Vorbereitung unserer Wanderung hatten wir hier einen Ruhetag eingeplant. Im Jeep dröhnt spanische Volksmusik, der etwa 60jährige Fahrer singt lauthals mit. Zwischendurch erzählt er der Freundin irgendwas, die, ohne auch nur ein Wort zu verstehen, höflich zurück grinst und nickt.
Kopfschüttelnd läd er uns auf dem ehemaligen Dorfplatz ab. Als wir versuchen, uns zwischen den Ruinen zu orientieren, kommt ein Jugendlicher (LANGHAARIG) über den Platz geschlendert. Wir folgen ihm unauffällig und landen in der Pilgerherberge, dem einzigen intakten Haus in diesem Ruinendorf. Der Exodus, nicht nur dieses Ortes, setzte ein, nachdem Mitte der 60er Jahre der Aragon zum Embalsa de Yesa gestaut wurde. Doch die verfallenden Fassaden und überwucherten Wappen lassen den Besucher die ruhmreiche Vergangenheit Ruestas als eine der wichtigsten Pilgerstationen des Mittelalters erahnen.
In der Albergue del Peregrino erwartet uns eine Überraschung. Zwar sei noch Platz, erklärt uns der Herbergsleiter, doch würde er uns nicht empfehlen, zu bleiben, da gerade ein Trommelworkshop stattfände und es die ganze Nacht laut sei.
Ich bin fassungslos.
Da stehe ich irgendwo in Spanien in der Pampa…und wem muss mir begegnen? Der spanischen Version von alternativen Selbstfindungsjüngern!!!
Ich hab ja grundsätzlich eigentlich nichts gegen sie, aber das Timing ist irgendwie schlecht.
Unterhalb des Ortes gibt es einen privaten Campingplatz, dort hätten wir sicher mehr Ruhe, meint der Herbergsleiter. Zum Essen könnten wir selbstverständlich wieder rauf kommen. Das tun wir auch.
Wie üblich können wir in dem überfüllten Restaurant zwischen drei Vorspeisen und genauso viel Hauptgerichten wählen, dazu gibt es den obligatorischen Wein, Wasser und für die Kinder Limo. Wir erfreuen den Kellner mit dem ersten vollständigen Satz in Spanisch, den wir auf unserer Wanderung gelernt haben: „La comida estaba excellente“. Nach unserem vorangegangenen Gestammel aus Französisch und Italienisch, inklusive Sprachwortschatz von ca 10 spanischen Worten, haut sich der Junge fast weg vor Lachen.
Am Ruhetag baden wir im See, bauen Staudämme an einem kleinen Bach und Carlos hilft mir, meinen Sprachwortschatz etwas zu erweitern.*ggg* Er findet es Klasse, dass wir uns die Zeit nehmen, das Land kennezulernen und Pausen einlegen. Die meisten Pilger, erzählt er uns in einem fröhlichen Gemisch aus Französisch, Englisch und Spanisch inklusive pantomimischen Einlagen, würden ohne einen Blick nach links oder rechts zu riskieren den Camino geradezu entlang hasten.
Als wir später schwätzend unter einer Brücke sitzen, fragt uns plötzlich jemand: „Höre ich da Deutsche Stimmen?“ Wir lernen S. kennen, Frauenseelsorgerin aus Erfurt. Sie hat schon von uns gehört (andere Pilger haben erzählt, dass da zwei Mütter mit ihren Kindern unterwegs sind). Wir klären sie erstmal auf,dass Kleininch nicht 5, sondern 7 Jahre alt ist (sie ist ziemlich klein und wird deshalb oft unterschätzt). S. ist allein unterwegs. Im letzten Jahr ist sie von St-Jean-Pied-le-Port nach Burgas gewandert, nun will sie die andere Variante kennenlernen. Wir werden ihr noch einige Male begegnen.