Im Land der Störche

Lettland/ Litauen 2005

Vorspiel

Es gibt zwei Dinge, die mir Sorgen machen: Die Fähre und mein Faltboot. 

Nun gut. Zweiteres verdränge ich erst mal, als ich am Morgen des 30. Juli in den Schneiderbus steige. Es gilt zunächst,  heil in Lettland ankommen. Und die anderen möglichst auch. Das sind neben meiner Wenigkeit und K2 noch 12 Freunde, Kinder und Erwachsene. Wir wollen in Lettland, auf der Agava und der Venta paddeln. Ursprünglich sollte es ja die Gauja sein, aber nachdem uns Gruselmeldungen über schmutziges Wasser erreicht haben, hat einer der Freunde diese Alternative vorgeschlagen.

Aber wie gesagt, wir müssen erst mal übers Wasser nach Liepeja. Mit etwas mulmigem Gefühl betrete ich die Fähre. Ich mag kein tiefes Wasser, keine Seen und schon gar keine Meere, auch wenn es nur so ein ganz klitzekleines wie das Baltische ist. Aber es ist ruhig, die Klappe dahinten, wo die Autos reinfahren, ist auch geschlossen und außerdem müssen wir ständig essen, weil wir haben ja Vollverpflegung. Und weil es so schön ruhig ist und warm, muss ich auch nicht irgendwo unten schlafen (wo ja alles mögliche passieren kann), sondern nächtige mit den anderen auf dem Sonnendeck.

Die Besatzung scheint ihr Handwerk auch zu verstehen und so können wir gesund und satt in Liepeja an Land gehen. Auch wenn ein Mitreisender erst mal weg ist und es so aussieht, als wolle er gar nicht mit. Aber dann taucht er doch noch auf und wir fahren zu einem Zeltplatz am Meer.

Den hat auch der eine Freund, nennen wir ihn Reiseleiter, rausgesucht.  Der liegt vielleicht so 10 km von der Stadt entfernt und außer uns gibt es da nur noch 2-3 Wohnwagen, dafür einen ganzen Haufen Müllsäcke. Die stammen wohl noch vom Postfest am Wochenende, vielleicht auch von irgendeinem anderen Fest am Wochenende. Postfest oder past fest, da wollte sich P. später nicht mehr festlegen lassen. Am Strand, das ist das wichtigste, liegen keine Müllsäcke – und auch keine Menschen. Wir haben ihn sozusagen für uns alleene.

Am nächsten Morgen werden die Müllsäcke geholt. Das sieht sehr russisch aus ( wie übrigens gestern Abend auch die Randbezirke von Liepeja) und ich bin geneigt zu glauben, dass dieser brennende Auspuff, der da irgendwie aus der Fahrerkabine des Müllautos ragt, schon seine Ordnung hat. Aber dann lässt der Fahrer beim Löschen des  kleinen Malheurs doch  eine gewisse Hektik erkennen.

Wir fahren nach Riga, mit einem kleinen Umweg und Zwischenstopp in Kuldiga. Dort gibt es nämlich den breitesten Wasserfall Lettlands zu besichtigen, die Venta Rumba.

Um einen guten Eindruck zu machen, schauen wir in einem der Reiseführer nach, was „wo ist?“ auf Lettisch heißt und schon stürze ich mich auf eine junge Frau mit Kinderwagen und frage: „Kur ir Venta Rumba?“ Sie zuckt hilflos mit den Schultern. Falsche Aussprache? Ich probiere es noch  mal, drehe die Worte hin und her. Ohne Erfolg. Dann frage ich auf Russisch und die Gute antwortet mit einem jedem Italiener Ehre machenden Redeschwall. Na bitte. Geht doch.

Neben dem breitesten Wasserfall Lettlands gibt es hier übrigens auch den höchsten des Landes.  Aber der, er gehört zum Fluss Aleksupite,  dümpelt, auch wenn es im Reiseführer anders behauptet wird, selbst von den Einheimischen unbeachtet, fast versteckt vor sich hin. 2,50 m hoch ist das kleine Kerlchen.

Kudilga selbst erhielt 1355 das Stadtrecht, war Hansestadt und Hauptstadt des Westkurlandes. Wir bummeln ein bisschen durch das hübsche Zentrum und bringen einen jungen Kellner an den Rand seiner Belastbarkeit durch das unvermittelte Auftauchen 13 hungriger Mäuler, die auch noch alle was verschiedenes bestellen. Was für ein Glück, dass einer keinen Hunger hatte.

In Riga gibt es einen Zeltplatz quasi in der Innenstadt. Auf der Halbinsel Kippsala. Da muss man nur noch über eine Brücke und Schwupps ist man in der Innenstadt. Das probieren wir gleich am Abend aus. Also nicht alle. Ein paar müssen ja auf die Kinder aufpassen und sie möglicherweise vor betrunkenen Finnen beschützen. Wir, die wir also das Nachtleben der Lettischen Hauptstadt zu erkunden suchen, landen auf einem großen Platz, wo es sehr viele Freisitze gibt und Live Musik. Die ist allerdings vor allem laut, was mich hindert, an der Konversation teilzunehmen. Leider ist der Vortrag der Künstler auch nicht dazu angetan, sich auf diesen zu konzentrieren oder gar sich ihm hinzugeben.

Am nächsten Tag, es ist Dienstag, führt uns B., die im echten Leben wirklich Gästeführerin ist, nur eben in Leipzig, durch die Stadt. Mit gefällt diese nicht wirklich. Da stehe ich mit meinem Geschmack aber schon wieder alleine. Trotzdem gibt es ein paar Dinge die mich beeindruckt haben: Das Parlament bzw. die Wachablösung davor. Die ist jetzt auch nicht anders als anderswo, bemerkenswert ist das Ende. Die Ehren- oder Wachposten verschwinden nicht exerzierend in irgendeinem Hof oder so. Nein, sie nehmen einfach vor einer ganz normalen Haustür die Gewehre in die Hand und schlendern profan hinein, ins Haus meine ich. Vielleicht ist das  ja so normal und üblich. Ich habe so was zum ersten Mal gesehen und finde es ein unrühmliches Ende einer Wachablösung.

Dann die tanzende Frau: eine ältere Dame in Nationaltracht, die zu Musik aus dem Kassettenrecorder tanzte und hoffte, auf diese Weise vorbeischlendernde Passanten dazu zu bewegen, Kleingeld in eine Schachtel zu werfen. Der Tanz bestand aus nicht sehr vielen Bewegungen, eigentlich drehte sie sich nur im Kreis und vollführte dabei Pirouetten mit den Armen. Nichts besonderes also. Aber als wir Stunden später, nach Stadtrundgang und ausgedehntem Mittelalterlichen Gelage in einem wirklich empfehlenswerten Kellergewölbe, zufällig wieder an der alten Dame vorbeischlenderten, vollführte sie immer noch die gleichen Bewegungen. Das ist doch bemerkenswert, oder?

Auf Abava und Venta durchs Kurland

Am Nachmittag fahren wir nach Kandava. Dort, auf der Straße nach Sabile, gibt es einen Zeltplatz direkt an der Abava. Und die Autos können wir hier auch parken. Perfekt. Nur, ich muss jetzt das Faltboot aufbauen und so was habe ich ja 13 Jahre nicht mehr gemacht. Also lasse ich mir ein bisschen helfen. Meine Sorge bezüglich des Zustandes des Bootes kehrt jetzt auch wieder zurück. Ich habe es von einer Freundin geliehen und die wollte mir nicht sagen, wie lange das schon keiner mehr ausgepackt hat. Ich hatte leider auch keine Zeit zum Testauspacken und hab mich für Vertrauen entschieden. Von oben sieht das Boot auch recht gut aus, als es endlich aufgebaut ist. Dann drehen wir es um…….

Der Reiseleiter hat Flüssigkleber mit. Ein anderer Freund so eine schwarzes Klebeband. Also mache ich mich ans Werk….

Am 3.08. beginnt die Tour und ich singe zur Feier des Tages ein Seemannslied, dass ich im Kinderferienlager in Karlshagen gelernt habe.

Die Fahrt geht durch die wunderschöne Flusslandschaft des Tals der Abava. Heute scheint auch noch die Sonne und wenn mein Boot so richtig dicht wäre, wäre alles perfekt. Aber was soll schon ein nasser Hosenboden, trocknet ja wieder.

An der Abava Rumba ist Feierabend. Wir bauen die Zelte auf und des nachts klaut der Fuchs mein Brot und den Cappuccino eines Freundes von K2.

Am nächsten Morgen tragen wir die Boote zu einer Einsatzstelle hinter der Rumba, von dort bugsieren sie einige Helden schwimmend oder auch drin sitzend noch ein Stück durch das wilde Gewässer und weiter geht es durch den Nationalpark.

Die Fahrt ist heute etwas spannender, weil es ein paar Stromschnellen gibt. Dann fängt es an zu regnen. Dann gießt es. Als der Tag schließlich für beendet erklärt wird, halten wir eine Plane über das gerade aufzubauende Zelt. Was K2 und mich betrifft, so versuchen wir unsere nassen Säcke und Isomatten irgendwie so zu platzieren, dass wir nachts nicht das Gefühl haben, im nassesten Zelt zu schlafen, denn das haben, wie wir seit Pfingsten alle wissen, Reiseleiters. Und uns reicht es, das nasseste Boot zu haben!

Am nächsten Tag, auf dem Weg nach Renta, habe ich das Gefühl, es geht bergauf. Zum Glück bilden die Gästeführerin und ihr Sohn mit uns gemeinsam die Nachhut. Wenn wir uns hier hinten alleine quälen müssten……. und auch noch bergauf…. Aber in Renta gibt es nicht nur einen Konsum, sondern auch ein Kneipchen und danach geht es tatsächlich bergab. Es gibt wieder ein paar kleine Stromschnellen und ein paar fies rumliegende Steine. Aber eigentlich ist alles sehr idyllisch und sehr schön. Vor allem regnet es nicht!  Es ist Sonnabend und so sehen wir am Ufer ab und an Ausflügler.

Als wir uns schließlich für einen sehr schönen Rastplatz entscheiden, paddeln bzw. rudern sogar noch einige Ausflügler an uns vorbei. Einige scheinen hier auch übernachten zu wollen. Aber vor der Übermacht von 14 Leuten in 7 Zelten kapitulieren sie.

Der Schneiderbusfahrer hat Pilze gefunden und sofort machen sich fast alle Erwachsenen auf, noch mehr zu finden. Nachdem wir sie dann geputzt und geschnippelt haben, entscheiden wir uns doch dafür, einige wieder aus dem Topf herauszulesen. Und obwohl eine jemand des nachts an Herzrasen litt und einem jemand schlecht war, haben wir später noch öfters Pilze gesammelt und gegessen und alle überlebt.

Am nächsten Morgen regnet es erst mal. Wir schlafen aus und schaffen es schließlich, im Trockenen zu frühstücken und bei Sonnenschein loszupaddeln. Eine halbe Stunde später regnet es in Strömen. Und weil es wie Gewitter aussieht, stehen wir dann sogar irgendwo unter Bäumen rum. Danach geht es durch den vielleicht schönsten Teil der Abava. Kleine Höhlen in den Sandsteinhängen links und rechts. Biberburgen.

Dann erreichen wir die Venta und durch einen kleinen Stich geht es zum See und Zeltplatz. Der ist herrlich groß und leer. Es gibt einen Kiosk mit Bier. Es gibt eine Sauna. Es gibt einen Lautsprecher, aus dem den ganzen Abend lettische Musik dudelt, die aber eigentlich ganz tschechisch klingt. Der perfekte Ort, um einen Ruhetag einzulegen. Leider ist das nächste Dorf mit Konsum nicht 3, sondern 10 km entfernt. Das laufe ich keinesfalls ein zweites Mal. Also halte ich auf dem Rückweg den Linienbus an und wir lassen uns am „Kempings“ absetzen.

Natürlich regnet es nachts wieder. Und als es dann weitergeht, ist an der Brücke kurz vor Zéklas  plötzlich so ne fiese Strömung. Die Gästeführerin und ich hängen mit unseren Booten ein bisschen hilflos im Schilf, kommen dann aber gut durch. Wir tauschen heute auch ein bisschen die Bootsbesatzungen. So paddelt K2 mit dem Vater des Freundes und der Freund mit dem Sohn der Gästeführerin. Ich steige zu ltzterer ins Boot. So sind wir etwas flinker, die Gästeführerin und ich meine ich. Natürlich regnet es wieder und der Rastplatz, eine gemähte Heuwiese, ist auch nicht schön und Frösche gibt es hier auch.

Am letzten Tag  wird das Wetter auch nicht besser. Wir sind auch nicht lange unterwegs. Suchen uns eine schöne Wiese, vielleicht 20 km vor Ventspils. Die Männer trampen nach Kandava, die Autos holen. Die „Kinderchen“ bauen Sandburgen. Und wir Frauen ruhen einfach aus. 18.05 Uhr  SMS von Schneiderbusfahrer.: „Gewonnen. Bin am Auto“.

Nachdem am nächsten Tag die Boote zusammengepackt sind, fahren wir nach Piltene, dem ältesten Ort Lettlands. Da steht eine alte Burgruine und die unvermeidliche Sängerfestbühne. In Ventspils trennen wir uns dann von den Heimfahrern. Der Reiseleiter und seine Frau, der Schneiderbusfahrer und seine Frau, sowie K2 und ich fahren weiter nach Kolkasrags.

Brautpaare, Russen und lettische Bayern

Der Weg dahin gehört wieder zu den Dingen, die mich doch beeindrucken. Es geht auf schnurgeraden, breiten Straßen durch nicht enden wollende Birken- und Kiefernwälder. Dazwischen immer wieder Sümpfe und Moore. Das kommt mir ein bisschen vor wie in Wassiljews Romanen und ich würde mich hier am liebsten 1-2 Stunden einfach nur hinsetzen und die Atmosphäre genießen. Weil der  heutige Nationalpark früher Sperrgebiet war, konnte  die Natur hier ungestört erhalten bleiben. Es soll neben Hirschen und Elchen sogar Wölfe und Luchse geben.

Aber das ist ja nicht das beeindruckende.

Die Straßen!

Will sagen, da gibt es Kreuzungen, Hauptstraßen, Nebenstraßen und die entsprechenden Verkehrsschilder. Dazu die üblichen Richtungsschilder. Alles wie gewohnt. Nur die Straßen! Die sind nicht befestigt. Also ich meine:  keine Asphaltdecke oder so was in der Art. Einfach sehr fest gefahrener Sand. Und der Schneiderbusfahrer meint, man kann da auch richtig schnell drauf fahren.

Kolkasrags ist eine Landspitze im nördlichsten Zipfel des Kurlandes. Rechts des Kaps liegt die Rigaer Bucht, links die Ostsee, und die Wellen treffen sich hier. Sieht cool aus. Früher, also zu Sowjetzeiten, war das hier militärisches Sperrgebiet, und ein paar Bauwerke aus dieser Zeit verschandeln noch die Gegend. Jetzt versuchen die Letten, ein Touristenziel aus dem Kap zu machen.

An der Küste entlang fahren wir Richtung Riga durch Fischerdörfer. Aber ähnlich wie in Riga, gibt es auch hier keine bestimmende Architektur. Holzhäuser, Blockhäuser, verputzte und unverputzte Steinhäuser, alle mit dem unvermeidlichen Dach aus Wellasbest.

Auf  irgendeinem Zeltplatz zwischen Kolka und Roja leisten wir uns Hütten zur Übernachtung.

Wenn im Landesinneren die Störche das bestimmende Motiv Lettlands sind, sind es hier die einsamen Strände. Das ist wirklich unglaublich. Ostsee, die man mit niemanden teilen muss.

Nach einem schönen Abend mit Pilzen und Heidelbeeren fahren der Reiseleiter und seine Frau zur Kurischen Nehrung. Wir verlassen Kurland Richtung Livland und Lettgallen und fahren nach Sigulda. Wenigstens gesehen haben wollen wir die Gauja. Es ist Freitag und der Zeltplatz vermutlich gefüllter als in der Woche. Er ist auch nicht besonders schön und es regnet. Das mag der Grund sein, weswegen wir froh sind, dass wir statt auf der Gauja, auf der Abava Urlaub gemacht haben.

Des Schneiderbusfahrers Frau und mich interessieren vorrangig die Duschen, bzw. die eine Dusche.

Aber vor der Hygiene laufen wir zum Neuen Schloss auf einem Hügel über Sigulda. Heute wird es als Sanatorium genutzt, und hinter der Anlage gibt es ein schönes altes, Ende des 19. Jahrhunderts gebautes, Gut zu besichtigen. Mit der Seilbahn fahren wir über die Gauja nach Krimulda. Und dann, man glaubt es kaum, gibt es tatsächlich Bungee jumping aus der Gondel.

Wir sehen erst an der Station zu, wie eine Platte aus dem Boden der Gondel entfernt wird alles notwendige Equipment installiert wird, wie die Springer eingegurtet werden, und diese sowie einige Zuschauer in der Gondel gesichert werden. Dann rasen wir runter auf die Brücke und sehen dem Spektakel zu. Ich glaube die Zuschauer IN der Gondel haben auch ihren Spaß, weil das Teil natürlich auch in gewisse Schwingungen gerät, wenn einer springt. Dieser wird übrigens nach dem Auspendeln nicht wieder hochgeholt. Die Gondel fährt dann zu dem einen Ufer, wo ein Helfer im Wald steht und die arme Seele errettet. Nach soviel Aufregung bin ich gespannt auf den morgigen Tag.

Der beginnt recht früh, weil jemand so ne alte Russische Rettungsinsel mit einer Motorpumpe aufpumpt. Grrh. Geh ich eben duschen.

Mit dem Auto geht es hinauf zur  Turaida, einer imposanten Ziegelburg, die 1214 vom Bischof von Riga unter dem Namen Fredeland erbaut, später umbenannt, 1726 bei einem Brand zerstört und ab 1950 wiederaufgebaut wurde. Vom Bergfried hat man einen schönen Rundblick, besonders ins Tal der Gauja. Im Park vor der Burg liegt das Grab der „Rose von Turaida“, eines 1620 gestorbenen Mädchens namens Maija, um deren Geschichte sich allerhand Legenden ranken. Ich finde die alten Bauern- Fischer- und Gutshäuser wesentlich spannender.

Um wenigstens eine der vielen Sandsteinhöhlen im Nationalpark gesehen zu haben, gehen wir dann noch zur Gutmannshöhle, die die größte des Baltikums sein soll, uns als olle Sachsen aber weniger beeindruckt. Ein Brautpaar ist auch wieder da, wirft Münzen in die Quelle. Die scheinen hier einen ganzen Haufen diverser Hochzeitsbräuche zu haben. Am Grab der Rose von Turaida hat eines Blumen abgelegt, und auf der Brücke gleich am Zeltplatz ketten die sich fest und hinterlassen kleine Schlösser mit eingravierten Namen und Hochzeitsdatum.

Wir fahren weiter Richtung Cesis und wieder fällte mir auf, dass das Livland wohlhabender als das Kurland zu sein scheint. Als wir uns jedoch dem höchsten Berg Lettlands, dem 312 m hohen Gaizinkalns nähern, wird alles wieder ärmlicher. Holzhäuser überall, aber selten geschlossene Ortschaften. Sümpfe, Moore, viel Wasser. Elche, Auerhähne und Luchse soll es hier auch geben.

Lettgallen wird auch das Bayern Lettlands genannt. Die Gegend ist stark katholisch geprägt, was damit zu tun hat, dass die Provinz über  200 Jahre polnisch war und es hier noch eine große dementsprechende Minderheit gibt. 1772 fiel das Land dann Russland zu. Russisch kommt uns dann auch der  sehr seltsame Zeltplatz vor, mit halbfertigen Neubaublocks, dem Russischen Personal und einer halbzerfallenen Konzerthalle, in der es nichts desto trotz am Abend eine Veranstaltung gibt. Leider hindert des Schneiderbusfahrers Frau und mich vehement daran, der Sache auf den Grund zu gehen.

Über die alte Hansestadt Koknese (die aber nirgends an ihre Vergangenheit erinnert) und eine alte Burgruine geht es am nächsten Tag nach Daugavpils. Diese zweitgrößte Stadt Lettlands fiel 1772 ebenfalls Russland zu und wurde im Stil der neuen Herrscher umgebaut und erweitert. Die typischen breiten Alleen mit ihren Bäumen und zweistöckigen Häuserreihen zeugen von der ehemaligen Herrschaft  und auch heute noch wird die Stadt vorwiegend von Russen bewohnt, was zur Folge hat, dass die Straßennamen zweisprachig ausgeschildert sind.

Das besondere an der Stadt ist sicher, dass vier Kirchen fast nebeneinander stehen. Die katholische und die evangelische sind leider geschlossen, aber ich wollte mir eh die Russischen ansehen. Gleich die erste, die wir ansteuern, ist offen. Allerdings hält uns im Foyer ein Mütterchen auf. Wir müssen Kopftücher aufsetzen und dürfen nicht fotografieren. Die Kirche, es ist eine der Altgläubigen, ist gewaltig. Die Wände zieren zahllose Ikonen, die vom Kerzenruß – es gibt kein künstliches Licht – und von den Jahren nachgedunkelt sind. Ich würde mich hier gern noch etwas umsehen, aber rechts vom Eingang  ist doch tatsächlich ein Toter aufgebahrt, drei Frauen sitzen neben ihm und singen Klagelieder. Ups.

In der Boris- Gleb- Kathedrale gleich nebenan, ist man zwar auch nicht unbedingt auf ausländische, aber doch auf  Besucher eingestellt. Eine Nonne verkauft  Fotos vom wirklich prächtigen Altar.

Litauen

Entlang der Weißrussischen Grenze geht es nun weiter nach Litauen. Ich bilde mir ein, dass ich ein kleines Gefühl davon bekomme, wie es Wessis ging, wenn sie an der innerdeutschen Grenze entlang fuhren. Wir schielen genauso neugierig in den Wald, der schon zu Weißrussland gehören muss, wie die damals wohl zu den Wachtürmen schauten. Und gruselig finde ich es auch. Die Wessis schützten wenigsten Zäune vor einem Irrtum, wir würden nicht mal merken, wenn wir aus Versehen im Machtgebiet des schlimmsten Diktators Europas landen würden.

Litauen gefällt mir sofort. Die Dörfer bestehen ausnahmslos aus bunten Holzhäusern.

Ich hatte vor dem Urlaub gelesen, dass Litauen die ärmste und rückständigste der Baltischen Republiken ist. Also mir kommt sie reicher vor, zumindest irgendwie gepflegter. 

Im Aukstitija – Nationalpark in Oberlitauen suchen wir uns an einem der „100 Seen“ einen Zeltplatz. Er erstreckt sich auf einer Länge von vielleicht 1 km entlang eines Ufers und wirkt ziemlich urwüchsig. Es gibt zahlreiche Feuerstellen und erstaunlich viele Menschen . Der einzige Luxus auf diesem Zeltplatz sind zwei unbenutzbare Plumpsklos.

Wir bauen unsere Zelte neben ein paar schon recht fröhlichen Litauern auf, und während die Frau des Schneiderbusfahrers und ich die restlichen Camper inspizieren, spielt spielt der Fahrer selbst eine Runde Volleyball.

Auch hier muss es heftig geregnet haben. Und manche haben hier gaaaaaaanz alte Zelte.

Am Abend geht ein Typ rum und kassiert die Platzgebühren, dann erwartet uns eine unruhige Nacht. Es dauert nämlich ziemlich lange, ehe die Litauer betrunken genug sind, um einfach umzufallen und die Klappe zu halten. Und als es endlich auch den letzten ermittelt hat, sind die Weißrussen ein Stück weiter noch lange nicht fertig.

Am nächsten Tag wandern wir zwischen den Seen herum. Wo kein Wasser oder Dorf ist, sind Kiefernwälder. Auf den wenigen Wiesen auch hier, wie in Lettland, die allgegenwärtigen Störche. In Ginuciai gehen wir essen in einem offenbar beliebten Ausflugskneipchen. Nun wird uns auch klar, wieso gestern hier noch soviel los war. Es ist Mariä Himmelfahrt und Feiertag. Die heutige Nacht wird viel ruhiger, eigentlich ist es so gut wie totenstill.

Heute wollen wir nach Vilnius, lassen uns am Morgen aber viel Zeit. Wir sehen zu, wie der Müll vom Wochenende entsorgt wird und Brennholz fürs nächste bereitgestellt wird, legen auf der Fahrt in die Litauische Hauptstadt zwecks Besichtigung einer alten Holzkirche und Kaffeetrinken Pausen in Paluse und Pabrade ein.

Im Zentrum von Vilnius treffen wir die Freunde der Freunde. Die haben sich zur Verstärkung eine Deutschlehrerin mitgebracht. Und obwohl wir vermutlich gotterbärmlich stinken (Lagerfeuer und Knoblauch am Vorabend), machen unsere Gastgeber sofort eine ausgiebige Stadtbesichtigung mit uns.

Vilnius gefällt mir sofort. Es unterscheidet sich wirklich deutlich von Riga, wo es zwar viele hübsche Bauwerke gibt, ich aber nie den Eindruck eines geschlossenen Stadtbildes hatte. Die engen Gassen im ehemaligen Judenviertel laden zum Bummeln und sich treiben lassen ein. Das müssen wir unbedingt noch machen.

Nach der Stadtbesichtigung fahren wir in eine Ausflugsgaststätte außerhalb der Stadt, mit Wassermühle, Wehr und leckerem Essen. Wir schlafen in der Wohnung der litauischen Freunde, während die beiden sich mit ihren Kindern in ihr Sommerhaus zurückziehen.

Am Vormittag holen uns unsere Gastgeber ab zu einem Ausflug nach Trakai. Die Ziegelburg liegt sehr malerisch auf einer Halbinsel zwischen Galvé-, Luka- und Totoriskessee . 27 km von Vilnius entfernt residierten hier die einstigen Herzöge Litauens. Und sie ist wirklich gigantisch und sehenswert. Wir streifen lange durch die erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wiedererrichteten Anlage mit ihren 11 Türmen. K2 und ich muten uns außerdem eine Ausstellung von Folterinstrumenten zu. Das ist wirklich gruselig und mir tut nur vom Anschauen alles weh.

Im Ort Trakai lebt eine seltene Glaubengemeinschaft, die Kareim. Laut Reiseführer ist das eine jüdische Sekte, die den Talmud ablehnt und nur nach dem alten Testament lebt. Auf den alten Fotos sehen die Leute aber eher wie Armenier aus. Das Gebetshaus, die Kenessa, so nennen die Moslems alle  Gotteshäuser der Ungläubigen, wiederum erinnert schon an eine Synagoge. Dort allerdings lesen wir nichts von Judentum. Wie dem auch sei. Entstanden ist die Glaubensgemeinschaft  im 6. oder 8. Jahrhundert in der Türkei, die Sprache ist ebenfalls mit dem Türkischen verwandt. Sie lebten auf der Krim , von wo  Vytautus im Mittelalter 380 Familien  als Leibgarde nach Trakai holte. Heute leben dort noch 280 Menschen dieser aussterbenden Glaubensgemeinschaft in ihren typischen Holzhäusern. Noch mehr von der Sorte leben in Polen (Gdansk, Wroclaw) und in der Ukraine. Die haben leckere Nationalgerichte, denen wir uns in einer gemütlichen Kneipe mit Freisitz hingeben.

Danach fahren wir nach Kernavé, einer alten Litauischen Hauptstadt. Vom Kirchberg aus hat man einen wunderschönen Blick auf sanfte Hügel, auf denen die Einheimischen am 24. Juni ihre Johannisfeuer lodern lassen und diesen heidnischen Brauch  ganz sittsam unter den Augen ihrer moderneren Seelsorger ausleben.

Den Abend verbringen wir dann in und hinter dem Sommerhaus unserer Gastgeber bei Grillzeugs und Wein.

Heimfahrt, Schiffsumtragen und Trompeten

Dann ist es Zeit langsam an die Heimfahrt zu denken. Am Donnerstag bummeln wir noch mal durch die Altstadt, aber dafür muss man sich wirklich mehr Zeit lassen. Mit anderen Worten: Ich war nicht das letzte Mal in Vilnius.

In Polen, wir fahren durch Masuren, fühle ich mich seltsam unwohl. Das ist wirklich seltsam, weil ich da eigentlich immer gern war. Auf dem Zeltplatz in Gyzicko habe ich auch das Gefühl, die LKWs donnern die ganze Nacht durch mein Zelt.

Aber der Schneiderbusfahrer hat noch ein paar Highlights rausgesucht. Zunächst stößt er bei uns „Weibern“ auf mehr oder weniger Unverständnis, weil wir uns unbedingt so ein, wie wir glauben, Schiffshebewerk ansehen sollen. Aber der Abstecher lohnt sich wirklich. Das Hebewerk entpuppt sich nämlich als eine gigantische Schiffsumtrage. Auf dem Elblangkanal werden Schiffe auf Loren verladen und über schiefe Ebenen, es gibt davon insgesamt 5, transportiert. Wir sehen uns das Teil in Bycziniec an. Aber wie gesagt, es gibt 5, die auf einer Strecke von 10 km 104 Höhenmeter überwinden. Das geschieht ganz umweltfreundlich und geräuschlos. Der Schneiderbusfahrer hat es uns auch erklärt. Aber na ja, mein technisches Verständnis… Ich bin einfach nur fasziniert und als ich im Imbiss dann auch noch einen wirklich guten Bigos kriege, ist die Welt eh in Ordnung.

Dann geht es zur größten Ziegelburg Europas, der Marienburg. Sie ist gleichzeitig die größte Deutsche Ordensburg und das ist wohl auch der Grund, weshalb ein paar Idioten im letzten Weltkrieg meinten, sie bis zum letzten Stein gegen die Russen verteidigen zu müssen. Die haben sich nicht lumpen lassen und das ganze Ding in Schutt und Asche zerbombt. Weil die Burg aber auch 200 Jahre lang Sitz der Polnischen Könige waren, wurde sie schon 10 Jahre nach Kriegsende wieder aufgebaut.

Auf der Weiterfahrt sehen wir uns noch die Brda an und zwar genau die Stelle, wo ein paar BSVler vor ein paar Jahren zur Paddeltour einsetzten.

Der Zeltplatz, auf dem wir die letzte Nacht verbringen, hält auch einige Überraschungen bereit. Erst vermute ich ja, das uns am Morgen stundenlanges Glockengedöns wecken wird. Aber!

Wir liegen im Zelt, da ertönt doch ein glockenklarer Trompetenklang, der zum Silenzium bläst. Das ist zuviel! Ich liege im Schlafsack und krieg mich vor Lachen nicht ein. Und am Morgen, 8.00 Uhr, natürlich, weckt uns der fröhliche Trompeter.

Zeit, heimzufahren.